Ort: Literaturhaus Salzburg
Lesung & Gespräch
Veranstalter: prolit
Moderation: Petra Nagenkögel

Piksi-Buch
"Jedes Mal, wenn Slobodan Marković Jungs mit einem Ball sieht, springt er rein und versucht, gegen sie zu dribbeln. Wie ein Botschafter des guten Willens motiviert er alle Kids dazu, ihr bestes Spiel an den Tag zu legen, und wenn es besonders gut läuft, wenn ein guter Move passiert, schreit er begeistert: „Es wird gespielt!“ Und ich bin auch trainiert in diversen Sportarten und kann bei einigen mitmachen. Nur bei Fußball nicht. Ich starre auf den Rasen.
Die Farbe Grün ist schön und macht alles gut, Grün tröstet und macht optimistisch, aber nur, solange du andere Signale, die aus deinem Körper kommen, ausblenden kannst. Zwei Krähen treffen sich im gemähten Gras. Dann wird die Sonne wieder stark, die Farben intensiv. Aus dem Hintergrund meldet sich alles, was mich plagt. Die Übelkeit, Nasenjucken, solche Sachen. (...)
Slobodan Marković, der Vater in Barbi Markovićs „Piksi-Buch“ hätte sich einen Sohn gewünscht – einem Sohn nämlich hätte er seine Leidenschaft für Fußball weitergeben können. Seine Tochter dagegen verbringt ihre Kindheit unfreiwillig im Stadion, sie starrt auf den Rasen, philosophiert über sein Grün, schafft sich eine eigene Welt in der Phantasie.
Im klugen und äußerst gewitzten Spiel mit dem Genre der Sportreportage, ihrem Pathos und ihren falschen Vergleichen, entwirft Barbi Marković die Geschichte einer Kindheit zwischen Anpfiff und Abpfiff. Ihre Persiflage auf den Mythos Fußball, auf den Fanatismus, den Machismus und die Gewalt, die der Fußball als kollektives Massenereignis hervorbringt, verschränkt die Ich-Erzählerin des Textes mit der familiären Geschichte – und nicht zuletzt mit dem Zerfall Jugoslawiens: im Viertelfinale der WM 1990 verliert Jugoslawien gegen Argentinien, ein kollektives Trauma, das dem Zerbrechen des Staates vorausgeht.
Ein Buch, das geschrieben wurde für all die schwachen Heldinnen, die sich in gewaltbereiten Umgebungen zurechtfinden müssen. Und ein Buch, das es meisterhaft versteht, uns als Leser:innen nicht nur die Bedeutung des Fußballs für die vielzitierte "nationale Identität" vorzuführen, sondern auch den Zerfall Jugoslawiens als private wie kollektive Tragödie fassbar werden zu lassen.
Barbi Marković, geboren 1980 in Belgrad, studierte dort sowie in Wien, wo sie seit 2006 lebt, Germanistik. Neben Romanen schreibt Marković Hörspiele, Theaterstücke, Kurzgeschichten und Spiele. Ihre Bücher - u.a. "Superheldinnen" (2016) und "Die verschissene Zeit" (2021) wurden vielfach ausgezeichnet, für „Minihorror“ (Residenz Verlag 2023) erhielt sie den Preis der Leipziger Buchmesse. "Piksi-Buch" ist im Verlag Voland & Quist erschienen.